Brauchen wir Umfahrungen?

Lassen Sie uns einmal eine weitere, andere Perspektive, nämlich aus der Sicht des Klimaschutzes, auf den Neubau von Straßen, auch von Umgehungsstraßen wagen, die ja das durchaus berechtigte und nachvollziehbare Ziel haben, Bürger vor Lärm, Umweltbelastungen und sonstigen Gefahren zu schützen.

Laut Umweltbundesamt hat der Verkehrssektor einen Anteil von 18% an den Treibhausgasemissionen (d.h. CO2, Methan, etc.), davon entfallen 95% auf den Straßenverkehr. Hier liegt somit mit 1/5 der Emissionen ein sehr hohes Potential zur Erreichung der Klimaschutzziele von Paris.

Obwohl seit dem Pariser Abkommen inzwischen fast drei Jahre vergangen sind, ist dieses Abkommen bisher ein reiner Papiertiger. Dringende Handlungen – in ALLEN Richtungen – sind daher für uns alle (über-)lebensnotwendig.

Was wir brauchen: eine Vollbremsung!

Weltweit werden jährlich über 40 Gt CO2 ausgestoßen, mit steigender Tendenz. Der Anteil der Treibhausgase in der Atmosphäre und der Temperaturanstieg sind miteinander verknüpft: Mit leichter zeitlicher Verschiebung folgt die Temperatur dem CO2. Wenn wir die Temperaturerhöhung, wie in Paris beschlossen, auf 1,5°C bis max. 2°C begrenzen wollen, lässt sich eine Maximalmenge an CO2 berechnen, die wir noch in die Atmosphäre entlassen dürfen. Das sind 600 Gt für das 1,5°C-Ziel bzw. 800 Gt für das 2°C-Ziel. Bei jährlich ca. 40 Gt Ausstoß ergibt sich ein Zeitraum von 15-20 Jahren, in dem wir überhaupt noch CO2 in die Atmosphäre entlassen dürfen. Danach müssten wir auf Null sein! Wenn wir das angestrebte Ziel nicht erreichen, käme dies einem unkontrollierten Feldversuch mit unserem Planeten gleich. Die Risiken sind unkalkulierbar.

Zudem drohen wir sogenannte Kipppunkte zu erreichen, d.h. den Schritt zu tun, der dem Auslösen einer Lawine gleichkommt. Einmal – auch unwillentlich – losgetreten, rauscht sie unaufhaltsam ins Tal. Die Temperatur liegt derzeit ca. 1°C über dem vorindustriellen Niveau. Das ist ein durchschnittlicher, weltweiter, jährlicher Mittelwert. Die lokalen Werte sind dabei jedoch sehr unterschiedlich, mit gravierenden Folgen: Temperaturen, die auch nur zeitweise, d.h. ein paar Wochen, weit über dem Mittelwert liegen, z.B. in der Arktis (im Sommer 2017 wochenlang 8°C über dem langjährigen Wert) oder im Bereich des Permafrostbodens in Sibirien, können zu einem nicht mehr aufzuhaltenden Schmelzvorgang des Eises (d.h. Meeresspiegelanstieg) bzw. zum Auftauen des Permafrostbodens führen (d.h. Freisetzung hoher Mengen von Methan, das 30mal klimaschädlicher ist als CO2). Die Folgen können auch Klimawissenschaftler nicht vorhersagen. Unsere Chance liegt im Erkennen der (Klima-)Gefahr, im Wissen um den Mechanismus einer Lawine, in der Voraussicht, dass wir abbremsen müssen, wenn wir nicht aus der Kurve fliegen wollen, in der (Er-)Kenntnis um die Aufnahmegrenzen unseres Planeten von CO2.

Kehren wir zur Anfangsfrage zurück: Brauchen wir Umfahrungen? Nein! Wir brauchen ein anderes Verkehrssystem, mehr Radwege, einen dichter getakteteren öffentlichen Nahverkehr, CO2-freie Verkehrsmittel, gute Vernetzung und Anbindungen, wir brauchen einen gesellschaftlichen Austausch, wie wir den auf lange Frist ausgelegten Klimaschutz mit den dringenden Bedürfnissen von Anliegern auf eine gemeinsame Basis stellen können – wir brauchen dringend eine Entlastung aller: nämlich eine CO2-Entlastung.

© Figueres et al., Nature 2017 – deutsche Fassung durch Spiegel Online. https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/files/Emissionsbudgets-Paris.png

Die Grafik zeigt, dass zur Einhaltung des Klimazieles von Paris Deutschland im Jahr 2039 kein CO2 mehr emittieren darf, wenn 2020 begonnen wird, die Emission zu senken. Beginnen wir erst im Jahr 2025 mit der CO2-Absenkung, muss die Emission bereits 2033 bei 0 t sein.

 

 

 

 

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